Zur Ideologie der Zeitenwende
Susann Witt-Stahl, Hamburg
Neben Aufrüstung und Militärübungen gehört zu den Kriegsvorbereitungen die ideologische und kulturelle Munitionierung nach innen. Die Bundeswehr präsentiert den Kriegsdienst längst auf allen Kanälen als großes Abenteuer. Die »Verteidigung des demokratischen Westens« ist Dauerthema in den Politshows. Seit der »Zeitenwende« wird eine eindeutigere Sprache gesprochen: Statt »neuer Verantwortung« heißt es jetzt »Kriegstüchtigkeit«.
Einen Push erlebt aber nicht nur das Säbelrasseln. Auch die Umdeutung der Geschichte hat Konjunktur. Während erklärt wird, dass »der Russe« ein anderes Verhältnis zum Tod habe, wird dem Deutschen ein anderes Verhältnis zu seiner Vergangenheit eingeredet. Es seien schließlich nicht zuletzt die russischen Welteroberungsambitionen gewesen, die damals zum Krieg geführt hätten. Während »wir« angeblich unsere Lektion gelernt haben, sei heute Putin der neue Hitler, vor dem es sich zu schützen gilt.
Passend zur geschichtsrevisionistischen Kampagne werden Bandera-Faschisten auf den großen popkulturellen Bühnen zu Helden verklärt. Der Gruß der Organisation Ukrainischer Nationalisten, »Slawa Ukrajini!« – die banderistische Variante von »Sieg Heil!« –, wird zu allen sich bietenden politischen und gesellschaftlichen Anlässen zelebriert.
Was sind die Kernelemente der Ideologie der »Zeitenwende«? Und wie greift diese auf die deutsche Geschichte zu? Wie wird die Militarisierung der Gesellschaft per Massenkultur durchgesetzt? Und welche Bedeutung hat das schließlich für eine paralysierte Linke, die es trotz beschleunigter Mobilmachung nicht schafft, Widerstand zu entfalten?
Susann Witt-Stahl ist Journalistin, schreibt u.a. für junge Welt, Buchautorin und ist Chefredakteurin des marxistischen Kulturmagazins Melodie & Rhythmus.